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Tiergarten 1933 - 1958

von Frank Reisberg

"Am Fuße des Burgbergs, idyllisch versteckt, liegt ein Garten verträumt und versonnen, ein Garten, der lehrreich, der Freude erweckt, der im Flug alle Herzen gewonnen ..." 

So beginnt ein Gedicht in der Festschrift zum 25-jährigen Stiftungsfest der „Vereinigung Ascherslebener Tierfreunde“, die 1912 als „Verein der Aquarien- und Terrarienfreunde zu Aschersleben“ gegründet worden war. Die Mitglieder dieses Vereins hatten die Idee eine Tiergartenanlage zu errichten, die sich aber nicht so bald verwirklichen ließ.

Erst Anfang der 1930er Jahre erhielten sie ein Stück Land im Einetal am Freibad hinter der Burgmühle. In monatelanger Freizeitarbeit schufen die Mitglieder des Vereins mit Unterstützung der Stadtverwaltung aus einem Kartoffelacker eine Freilandanlage, die – in den Sommermonaten geöffnet – die „Kette“ der Freizeitanlagen im Einetal unter der alten Burg vervollständigte: Freibad, Gondelteich und Freilandanlage (später Tiergarten) wurden zu einem Erlebnis für die ganze Familie.

Im Sommer 1933 wurde die Freilandanlage für die Öffentlichkeit freigegeben. Das kleine Stückchen Erde, auf dem im Jahr zuvor noch Kartoffeln geerntet worden waren, konnte nun von den „Ascherslebern“ und ihren Gästen besucht werden. In der Anlage gab es zu dieser Zeit zwei Teiche – einer mit Goldfischen und der andere mit Wassergeflügel, neben denen sich zwei Freilandterrarien mit Schlangen, Schildkröten und Eidechsen befanden.

Am Rande der Anlage waren in einigen Flugkäfigen einheimische Singvögel, Krähen, Falken und Eulen zu sehen. In der Mitte des Gartens stand ein schmuckes Gartenhäuschen, gestaltet wie ein chinesisches Teehaus, entworfen von Stadtbaurat Dr. Heckner, das bald zum Hauptanziehungspunkt und Zuflucht bei Regengüssen wurde. Das „Teehäuschen“ stand noch bis in die 1960er Jahre auf dem Gelände hinter dem Freibad.

Die Freilandanlage war sofort ein Besuchermagnet. Viele Besucher sahen bereits zu dieser Zeit in der kleinen Anlage den Beginn für einen „Zoo“: „Afrikanische Gänse am Fuße der Spittelsberge! – Wer hätte sich das träumen lassen.“ (Anzeiger, 05.05.1934) Ein Jahr später berichtete der „Anzeiger“ am 18. Mai 1935 „Vom Ascherslebener Zoo“:  „Vor einigen Tagen veröffentlichte ein Berliner Blatt einen Artikel über zoologische Gärten in Deutschland.

Auch Aschersleben wurde unter denen genannt, die im  Begriff sind, sich einen „Zoo“ zu schaffen. Der Verfasser des Artikels betonte ausdrücklich, dass er mit Absicht diese „Liliput-Zoo`s“ in einem Atemzug mit den Großen nenne, denn auch diese haben genauso bescheiden angefangen. Die meisten „Zoo`s“ sind aus reiner Liebe zur Tierwelt entstanden; mit Aquarien, Terrarien, mit weißen Mäusen und exotischen Vögeln. Alles, was hier gesagt wird, trifft in ganz wundervoller Weise auf unsere „Freilandanlage im Einetal“ zu.“

Als in den folgenden Jahren aber nicht viel „Neues“ in der Freilandanlage unter der Alten Burg dazukam, ließ das Interesse an dem „Schmuckkästlein im Einetal“ rasch wieder nach. Die fehlenden Besucher stellten sogar die weitere Existenz der Anlage in Frage; und der kleine „Verein der Aquarien- und Terrarienfreunde“ mit 25 Mitgliedern konnte die wachsenden Aufgaben nicht allein bewältigen. Mit der Umbenennung in „Vereinigung Aschersleber Tierfreunde“ nach 1935 erhielt nicht nur die bisherige eingeengte Ausrichtung und Zielsetzung (Aquarien und Terrarien) eine breitere Grundlage, es wurden damit auch neue Mitglieder gewonnen. Ein Appell an die Tier- bzw. Tiergartenfreunde in Aschersleben brachte den gewünschten Erfolg.

Die Mitgliederzahl stieg enorm an und erreichte in kurzer Zeit mehr als das Zehnfache des Bestandes von 1933. Gleichzeitig mit dieser erweiterten Zielsetzung des Vereins vollzog sich auch eine neue Entwicklung für die Anlage im Einetal. Aus der „Freilandanlage“ wurde der „Tiergarten“, zu dem die Anlage ausgebaut werden sollte. Das bedeutete vor allem eine Ausdehnung des Geländes über den „Kartoffelacker“ hinaus. In den folgenden Jahren wurde die Anlage ständig erweitert, es entstanden neue Gehege und Käfige und der Tierbestand vergrößerte sich. Zu den meist kleineren Tieren kamen nun größere und die Besucherzahlen stiegen wieder an: Im Sommer 1938 besuchten laut „Anzeiger“ über 2.000 Gäste die Freiluftanlage und von 1939 bis 1942 wurden über 50.000 Besucher gezählt.

Neben der höheren Mitglieder- und der steigenden Besucherzahl war eine großzügige Unterstützung der Stadtverwaltung besonders durch Landzuweisung, pachtfreie Nutzung von Gartenland und finanzielle Zuschüsse entscheidende Voraussetzung für den Aufschwung der Tiergarten-Anlage hinter dem Freibad. Gleichzeitig kamen die Investitionen und Zuschüsse zahlreichen Schulkindern aus Aschersleben und der Umgebung zu gute, die hier mit ihren Lehrern zum „Naturgeschichtsunterricht“ in die Freilandanlage zogen, die immer mehr zu einer Sehenswürdigkeit von Aschersleben wurde.

Nachdem die Anlage bisher im Herbst immer stillgelegt wurde, unternahm man im Winter 1940/41 den Versuch, sie auch in der kalten Jahreszeit offen zu halten – „zwar nicht täglich wie bisher, aber doch wenigstens an den Sonntagen mit schönem Wetter“ (Anzeiger, 01.10.1940).

Im „Tageblatt“ vom 16. Mai 1942 konnte der Leser einen „Blick in unser Aschersleber Tierparadies“ tun. In dem Bericht „Treue Tieraugen sehen dich an“ wurden sehr ausführlich Tiere des „Tierparks“ vorgestellt: Zackelschafe, Kamerunziege, Heidschnucke, Zwerghirsche, Rhesusaffen, Kaiseradler, Polarhund, australischer Dingo u. a.

Zehn Jahre nach der Eröffnung berichtete die „Ascherslebener Zeitung“ über die erfolgreiche Entwicklung der beliebten Freizeitanlage unter der Burg und ihr Erscheinungsbild im Jahre 1943: „Der Spaziergänger von heute wird schon an der Brücke hinter dem Jugendheim (ehem. Schulmühle, F.R.) durch zwei bunte Tier-Wegweiser auf die unmittelbare Nähe des Tiergartens hingewiesen; eine Minute später steht er schon vor dem ansprechenden Kassenhäuschen und dann vor den ersten Pfleglingen des Gartens selbst. Hier ist es eine Gruppe Zwerghirsche, dort eine größere Damhirschfamilie, da sind Schafe mit seltsam gedrehten Hörnern, da Störche, Möven, Pfauen, Puten, Affen, Kaiseradler, Milane und Bussarde, Hühner, Tauben, Singvögel, Papageien, Hunde, Katzen, Füchse, Waschbären usw., in dem Gartenhäuschen selber eine reichhaltige Ausstellung allerlei präparierter Tiere. Auf der Höhe führt ein Zaun entlang, der sich in weit gespanntem Bogen auf beiden Seiten der Anlage wieder nähert, hier sogar ein ganzes Waldgelände einschließend. Aus der Enge des Tales haben wir die Höhe erreicht und stehen staunend vor einem prächtigen Panorama, zu unseren Füßen aber liegt das gesamte Tiergartengelände in seiner ganzen weitläufigen Ausdehnung. Wasser, Wald und Wiese, Berg und Tal, alles in schönster Harmonie beieinander, …“ Und man war sich sicher: „Die Vergrößerung des Tiergartens zu seinem jetzigen Umfang berechtigt zu den schönsten Hoffnungen. … Daß es sich dabei nicht etwa um die Haltung von Elefanten und Giraffen, Straußen und Nilpferden handeln kann, liegt auf der Hand. Diese Aufgabe bleibe den großen Zoologischen Gärten vorbehalten. In unserem Tiergarten soll einmal, wenn er erst fertig ausgebaut ist, das Heimatliche im Vordergrund stehen.“

Trotz Widerwärtigkeiten und Widerstände aller Art, Naturkatastrophen (vielfache Überschwemmungen, strenge Winter), wiederholter Wärterwechsel und schließlich die besonderen Schwierigkeiten im Krieg (1939 - 1945) und seine Einschränkungen vor allem bei der Beschaffung von Tieren und Futtermitteln überstand der Tiergarten und auch der Verein diese Jahre.

Nachdem zum Kriegsende 1945 zunächst alle Vereine verboten worden waren konnte ein Jahr später die Wiederzulassung beantragt werden. Der Verein gab 300 nicht aktive, aber zahlende Mitglieder an. Der Mitgliedsbeitrag von jährlich 6,- Mark berechtigte auch zum Eintritt in den Tiergarten für das Mitglied und seine Familie. Im Juli 1947 wurde die Weiterführung des Vereins und damit auch des Tiergartens genehmigt. Im Laufe der nächsten Jahre verminderte sich der Tierbestand stark, der Tiergarten wurde vollkommen vernachlässigt und 1950 war „überhaupt nichts mehr da“. Im Sommer 1951 sollte eine Initiative den „alten Tiergarten“ wieder entstehen lassen und die Bevölkerung wurde zur Mithilfe aufgerufen.

Nach umfangreichen Beratungen im Verwaltungsrat der KWU (Kommunales Wirtschaftsunternehmen der Stadt) übernahm die Stadt Aschersleben 1951 den Tiergarten und schloss ihn der KWU an. Trotz Material- und Futtermangels konnte der Tiergarten irgendwie erhalten werden. Pünktlich zur 1200-Jahrfeier von Aschersleben verkündete die „Freiheit“ am 26. Mai 1953: „Unser Tiergarten ist wieder auf“. Am Pfingstsonntag 1953 wurde der Tiergarten unter der Alten Burg wieder eröffnet, obwohl vieles erst nur notdürftig wieder hergerichtet worden war und „auch der Tierbestand … noch zu wünschen übrig“ ließ. Und wie in dem Zeitungs-Beitrag zu lesen war standen noch große Aufgaben vor denen, die den Tiergarten zu alter Schönheit und Vielfalt bringen wollten und deshalb die Bevölkerung aufriefen: „Also Ascherslebener, es liegt mit entscheidend an euch, ob euer Tiergarten wieder das werden soll, was er war, nämlich die Erholungsstätte für eure Kinder und euch.“

Im Jahr 1957 stand jedoch fest, dass der Tiergarten so nicht weiter betrieben werden konnte. Umfangreiche Finanzmittel wurden zum Umbau benötigt – Mittel, die nicht vorhanden waren. Dazu kam die Lage des Tiergartens. Da er ständig hochwassergefährdet war, hatten die Anlagen schon bedeutend gelitten. Auch einigen Tieren bekam diese Lage nicht. So wurde auf Beschluss der Stadtverordneten der Tiergarten ab 1958 geschlossen; Tiere und Einrichtung wurden dem Tierpark in Staßfurt überlassen.

Fünfzehn Jahre später öffnete am 1. Mai 1973 Auf der Alten Burg der Tierpark Aschersleben – vierzig Jahre nach der Eröffnung der „Freilandanlage“ im Einetal.